aus Die Mundharmonika
Kornelia Koepsell
Elsbeth
Ich habe Elsbeth fast vergessen, sie
tat, so schien es mir, nichts Wichtiges. Sie führt
mich an der Hand durch Weizenfelder, ruft:
Herrgott, wie gout! Man hält sie für beschränkt.
Sie hatte krauses Haar.
Ich habe nur ein Foto, wo sie ernst
zum Strickzeug schaut. Die schmale Armbanduhr
zeigt halb vier. Da hatte sie schon Krebs.
Sie zieht den Faden durch das Öhr, sie schlingt ihn flink.
Niemand schaut ihr zu.
Ich hörte, sie sei nie verliebt gewesen, doch
glaube ich es nicht. Am morgen, noch im Hemd,
brüht sie Kaffee. Sie trägt den Nachttopf
zum Plumpsklo. An der Schüssel mit Emaille,
seh ich, wäscht sie sich.
Sie bohnert Wachs in Bohlen. Wie das riecht.
Ein Streit bei Tisch. Die Grossmutter will nicht, dass sie
schon morgens Harzer isst. Und da, dies eine Mal,
erhebt sie ihre Stimme, heftig und erzürnt.
Wie oft hab ich versucht,
in das Innen ihrer Dörflichkeit zu tauchen,
zu erfassen, was die Stirn verbirgt:
Die helle Fläche auf dem Foto. Niemals schrieb
sie etwas auf. Und als sie starb
blieb nichts von ihr zurück.
Doris
Das Trägerröckchen mit den Streifen hat sie nie
gemocht, doch demonstriert sie Gleichmut. Ihr Gesicht
ist makellos. Ein Glitzerband,
hellsilber, überm Pony schimmert.
Ein Hauch von Hollywood.
Mit Barbiepuppen spielt sie Filme, lässt sich bitten:
Sprich laut. Doch niemand glaubt der Sängerin.
Ihr Schrei erstickt im Grab.
Plötzlich stirbt die Phantasie. Das Mädchen
wird zur Frau.
Bleich ist das Gesicht, die Haare
und Lippen schwarz. Sie schweigt bei Tisch,
in ihren Augen liegt,
was niemand sieht, gebrochener Akkord.
Die Platte schwankt: Dark Side of the Moon.
Ein Rest Bacardy-Cola, angetrocknet, knistert. Ich
studiere längst den Sieg des Proletariats.
Sie heiratet, im sechsten Monat schwanger,
siebzehn. Johnny klaut.
Ich lese ihre Briefe. Ihre Schrift,
nach links gezogen, kleine Herzchen.
Der Kleine läuft. Sie raucht.
Sie steht auf dem Balkon.
Wasserwerfer sprühen, meine Augen sind
mit Tränengas gefüllt.
Ich habe Elsbeth fast vergessen, sie
tat, so schien es mir, nichts Wichtiges. Sie führt
mich an der Hand durch Weizenfelder, ruft:
Herrgott, wie gout! Man hält sie für beschränkt.
Sie hatte krauses Haar.
Ich habe nur ein Foto, wo sie ernst
zum Strickzeug schaut. Die schmale Armbanduhr
zeigt halb vier. Da hatte sie schon Krebs.
Sie zieht den Faden durch das Öhr, sie schlingt ihn flink.
Niemand schaut ihr zu.
Ich hörte, sie sei nie verliebt gewesen, doch
glaube ich es nicht. Am morgen, noch im Hemd,
brüht sie Kaffee. Sie trägt den Nachttopf
zum Plumpsklo. An der Schüssel mit Emaille,
seh ich, wäscht sie sich.
Sie bohnert Wachs in Bohlen. Wie das riecht.
Ein Streit bei Tisch. Die Grossmutter will nicht, dass sie
schon morgens Harzer isst. Und da, dies eine Mal,
erhebt sie ihre Stimme, heftig und erzürnt.
Wie oft hab ich versucht,
in das Innen ihrer Dörflichkeit zu tauchen,
zu erfassen, was die Stirn verbirgt:
Die helle Fläche auf dem Foto. Niemals schrieb
sie etwas auf. Und als sie starb
blieb nichts von ihr zurück.
Doris
Das Trägerröckchen mit den Streifen hat sie nie
gemocht, doch demonstriert sie Gleichmut. Ihr Gesicht
ist makellos. Ein Glitzerband,
hellsilber, überm Pony schimmert.
Ein Hauch von Hollywood.
Mit Barbiepuppen spielt sie Filme, lässt sich bitten:
Sprich laut. Doch niemand glaubt der Sängerin.
Ihr Schrei erstickt im Grab.
Plötzlich stirbt die Phantasie. Das Mädchen
wird zur Frau.
Bleich ist das Gesicht, die Haare
und Lippen schwarz. Sie schweigt bei Tisch,
in ihren Augen liegt,
was niemand sieht, gebrochener Akkord.
Die Platte schwankt: Dark Side of the Moon.
Ein Rest Bacardy-Cola, angetrocknet, knistert. Ich
studiere längst den Sieg des Proletariats.
Sie heiratet, im sechsten Monat schwanger,
siebzehn. Johnny klaut.
Ich lese ihre Briefe. Ihre Schrift,
nach links gezogen, kleine Herzchen.
Der Kleine läuft. Sie raucht.
Sie steht auf dem Balkon.
Wasserwerfer sprühen, meine Augen sind
mit Tränengas gefüllt.