Auszug aus >Im Felderlatein<
Lutz Seiler
das neue reich
fernsprechrauschen, vogelhusten: zuerst gehst du
noch einmal alles durch in den gedanken; die
blaue waffelkachel gab es schon, brusthoch
der braune sockel, öl &
die gebüsch-motive: nadelnd, fast
musik ist das
herausrieseln der stimmen aus
den kugellampen. kein
labyrinth & keine chandoshysterien, nur
wortgeruch & falsche nelken: früher
war es nicht vergittert dieses fenster, nicht
gemarkert diese schrift komm in
den totgesagten technikpark - fischgrätenestrich
ortsteile gab es, orte
die ich nicht kannte, nicht einmal
vom namen kannte. es gab
eine einzige strasse &
für jedes haus eine zahl, mit
einer halben verbeugung –
die laterne. in ihrem kegel hingen
kleine singbare stücke fast umsonst
auf den weg & kreide
für die stimme. statisch, die geduld
der widerstände, das knistern in
den lebensfäden. ich
trat ein in ihr geräusch
& es verstummte: wie
ein tier zum mond hielt ich
meinen schädel, das maul
halb offen & geblendet – so
ernährt mich die provinz. aus
ihren trichtern, verkabelt
fallen die namen, worte, noch warm
auf der zunge wie brizke
dettloff kaatz ... poesie
ist nur ein blinzeln, spucken, weiterziehn; sturmbahn
der laternenwege
wenn du das nachsehen hast
warum ich trotzdem gern
hier gehe: es ist die kälte
auf den augen, orte, grusslos, die
der blick zerstreut: häuser, bäumer, rinder – ab-
gesunken ins geräusch
einer anderen handlung. dort
ist es weniger ein ich, das spricht, es
sind weiche winzige fingerzeige, die
an den türen nach draussen wachsen. es sind
die flügelscheren der tauben, die
ihre brustkörbe ausgebaut haben & immer
noch steigen, langsam
mit geschlossenen füssen; wenn
du das nachsehen hast
ist es vielleicht das letze tageslicht
am bauch des vogels. von
eckstein zu eckstein springt
die spreu seines schattens, linien, auf denen
die stimmen der toten telephonieren. wenn
du das nachsehen hast, atmen sie dir direkt
ins gesicht: untermieter, hausbuchführer, aranka, die
aus den kniekehlen gesungen hat ... auch
deine eignen knochen musst du weiter denken, kommata
im satzbau dieser gegend
auβenwache
ich hab etwas
gesagt, ohne hände
gesungen: ich hab
die schatten aufgeraucht.
auf lunge nahm ich diese schächte wo
der leere raum entsteht das rauschen das
am zaun nach drauβen
geht zu den waggonen – siebzehn jahre
vor dem text. im schneestaub rollend über
flaschen kot & maskenreste wo
die stille schnell vorüber
zieht mit
kurzen schnellen stöβen in
ihr eignes werk
am abend
folgten mir schwebend die tiere
über die gleise, manche
behielten die mäuler offen, knapp
über dem boden & stieβen
ihren atem ins ölige gras – vereinzelte
büschel, die störrisch wie kindsköpfe
aus dem schotter wuchsen. ich sah
wie das versteinern beginnt: immer
an den ohren. manche erstarrten
im anrauschen der bäume. manche
rissen den schädel plötzlich
in den nacken & stiegen, einen
boshaften mond
zwischen den hufen
© Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.
fernsprechrauschen, vogelhusten: zuerst gehst du
noch einmal alles durch in den gedanken; die
blaue waffelkachel gab es schon, brusthoch
der braune sockel, öl &
die gebüsch-motive: nadelnd, fast
musik ist das
herausrieseln der stimmen aus
den kugellampen. kein
labyrinth & keine chandoshysterien, nur
wortgeruch & falsche nelken: früher
war es nicht vergittert dieses fenster, nicht
gemarkert diese schrift komm in
den totgesagten technikpark - fischgrätenestrich
ortsteile gab es, orte
die ich nicht kannte, nicht einmal
vom namen kannte. es gab
eine einzige strasse &
für jedes haus eine zahl, mit
einer halben verbeugung –
die laterne. in ihrem kegel hingen
kleine singbare stücke fast umsonst
auf den weg & kreide
für die stimme. statisch, die geduld
der widerstände, das knistern in
den lebensfäden. ich
trat ein in ihr geräusch
& es verstummte: wie
ein tier zum mond hielt ich
meinen schädel, das maul
halb offen & geblendet – so
ernährt mich die provinz. aus
ihren trichtern, verkabelt
fallen die namen, worte, noch warm
auf der zunge wie brizke
dettloff kaatz ... poesie
ist nur ein blinzeln, spucken, weiterziehn; sturmbahn
der laternenwege
wenn du das nachsehen hast
warum ich trotzdem gern
hier gehe: es ist die kälte
auf den augen, orte, grusslos, die
der blick zerstreut: häuser, bäumer, rinder – ab-
gesunken ins geräusch
einer anderen handlung. dort
ist es weniger ein ich, das spricht, es
sind weiche winzige fingerzeige, die
an den türen nach draussen wachsen. es sind
die flügelscheren der tauben, die
ihre brustkörbe ausgebaut haben & immer
noch steigen, langsam
mit geschlossenen füssen; wenn
du das nachsehen hast
ist es vielleicht das letze tageslicht
am bauch des vogels. von
eckstein zu eckstein springt
die spreu seines schattens, linien, auf denen
die stimmen der toten telephonieren. wenn
du das nachsehen hast, atmen sie dir direkt
ins gesicht: untermieter, hausbuchführer, aranka, die
aus den kniekehlen gesungen hat ... auch
deine eignen knochen musst du weiter denken, kommata
im satzbau dieser gegend
auβenwache
ich hab etwas
gesagt, ohne hände
gesungen: ich hab
die schatten aufgeraucht.
auf lunge nahm ich diese schächte wo
der leere raum entsteht das rauschen das
am zaun nach drauβen
geht zu den waggonen – siebzehn jahre
vor dem text. im schneestaub rollend über
flaschen kot & maskenreste wo
die stille schnell vorüber
zieht mit
kurzen schnellen stöβen in
ihr eignes werk
am abend
folgten mir schwebend die tiere
über die gleise, manche
behielten die mäuler offen, knapp
über dem boden & stieβen
ihren atem ins ölige gras – vereinzelte
büschel, die störrisch wie kindsköpfe
aus dem schotter wuchsen. ich sah
wie das versteinern beginnt: immer
an den ohren. manche erstarrten
im anrauschen der bäume. manche
rissen den schädel plötzlich
in den nacken & stiegen, einen
boshaften mond
zwischen den hufen
© Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.