Der Dichter
Adelheid Duvanel
Noch vor einigen Monaten bemühte ich mich, gesellig zu sein. Ich lockte fremde Menschen in mein Haus; wie blutige Blumen leuchtete der Wein aus den Gläsern, die ich ihnen reichte. Am frühen Morgen liefen die Augen der jungen Frauen und Männer aus, sickerten warm über ihre Hälse, hüpften über die Schlüsselbeine und rannen tiefer. Ich aber saß nüchtern wie Cellophan im zerschlissenen Sessel neben der Zentralheizung und beobachtete ihre Tänze; sie lösten sich von den Mauern, an denen sie sich festgekrallt hatten, und flatterten wie Efeu im Wind. Ich versuchte als Kind, mit Hilfe von kleinen Gesten, von andeutenden Worten mit Menschen in Kontakt zu treten, doch sie liebten das Laute, das Deutliche, das ich verabscheute. Sie konnten mich nicht verstehen. Meine ältere Schwester und ich wuchsen ohne Mutter auf. Ich erinnere mich, dass unser Vater die Worte «Enthaltsamkeit» und «Opfer» liebte; er gehörte einer abstrusen Sekte an, zu der auch wir gehören mussten, doch als ich sechszehn war, schwänzte ich die gottesfürchtigen Versammlungen, die mir Magenschmerzen verursachten. Litt ich während des Essens an Durst, sprach Vater: «Iss Salat»; das Trinken, selbst von Wasser, betrachtete er als Ausschweifung; unsere Gaumen und Herzen hatten trocken zu bleiben.
Meine Schwester verließ den Vater früher als ich, aber als ich dann aus der Kälte meines Elternhauses fortging in die Kälte der Welt, war ich noch nicht flügge. Ich verrannte mich, blieb hängen, wurde zum Spielball und fiel tief; ja, ich heiratete beinah. Heute treibe ich auf einer Eisscholle immer weiter von jenem Ufer fort, das sich flach und freudlos in der Ferne abzeichnet und nicht undeutlicher wird. Die Stille um mich ist von Angst gespannt, aufgebläht wie eine Riesenwolke.
Jeden Tag spaziere ich mit meiner Hündin, die auf die genau gleiche Weise hinkt wie ich (ich bin mir des lächerlichen Anblicks bewusst), durch das Vorstadtquartier; wenn ich stehen bleibe, verhält auch das Tier den Schritt und blickt zu mir auf. Auf einem dieser Spaziergänge geschah es, dass ich zum Dichter wurde: Am Straßenrand stand ein Auto, das der Frost vielleicht unsichtbar machen wollte, denn es schien in ein weißes, dünnes Seidenpapier verpackt. Auch der Himmel, der zwischen den weißen Dächern baumelte, war weiß. Als ich das Auto beinah erreicht hatte, sah ich, dass der Finger eines Kindes es mit Buchstaben, mit einem Wort zurückholen wollte aus dem Versteck, es zugleich verwandelte, ihm seine Bedeutung als Auto, die durch die weiße Verkleidung schon in Frage gestellt war, noch einmal und mit Nachdruck wegnahm. Auf der Kühlerhaube stand etwas geschrieben, ein Wort, das mein Interesse weckte; nahe vorbeigehend, entzifferte ich: ZORN. Ich war erregt, eigenartig aufgewühlt, als teile mir das nackte Gesicht einer weiß verhüllten Braut etwas mit, als läse ich in ihrer Miene eine Botschaft, die mit ihrer Eigenschaft als Braut nicht in Zusammenhang stand. Seit jenem Augenblick frage ich mich, ob nicht Worte über der großen Leere, über dem Abgrund, in den mein Leben gefallen ist, eine neue Welt schaffen können. Ich schreibe nun Tag und Nacht Wörter, male mit ihrem Klang die Fluten des Himmels, die einen tollwütigen Fisch vor mein Fenster treiben; ich baue Türme und Brücken, lasse die Sonne mit blitzendem Besen die Schatten aus den Schluchten kehren und schüttle den Kopf, wenn der Wind, den ich beschreibe, wie ein Vagabund in einem Winkel alte Zeitungen liest; hastig, mit lachhafter Neugier, blättert er um.
Meine Schwester verließ den Vater früher als ich, aber als ich dann aus der Kälte meines Elternhauses fortging in die Kälte der Welt, war ich noch nicht flügge. Ich verrannte mich, blieb hängen, wurde zum Spielball und fiel tief; ja, ich heiratete beinah. Heute treibe ich auf einer Eisscholle immer weiter von jenem Ufer fort, das sich flach und freudlos in der Ferne abzeichnet und nicht undeutlicher wird. Die Stille um mich ist von Angst gespannt, aufgebläht wie eine Riesenwolke.
Jeden Tag spaziere ich mit meiner Hündin, die auf die genau gleiche Weise hinkt wie ich (ich bin mir des lächerlichen Anblicks bewusst), durch das Vorstadtquartier; wenn ich stehen bleibe, verhält auch das Tier den Schritt und blickt zu mir auf. Auf einem dieser Spaziergänge geschah es, dass ich zum Dichter wurde: Am Straßenrand stand ein Auto, das der Frost vielleicht unsichtbar machen wollte, denn es schien in ein weißes, dünnes Seidenpapier verpackt. Auch der Himmel, der zwischen den weißen Dächern baumelte, war weiß. Als ich das Auto beinah erreicht hatte, sah ich, dass der Finger eines Kindes es mit Buchstaben, mit einem Wort zurückholen wollte aus dem Versteck, es zugleich verwandelte, ihm seine Bedeutung als Auto, die durch die weiße Verkleidung schon in Frage gestellt war, noch einmal und mit Nachdruck wegnahm. Auf der Kühlerhaube stand etwas geschrieben, ein Wort, das mein Interesse weckte; nahe vorbeigehend, entzifferte ich: ZORN. Ich war erregt, eigenartig aufgewühlt, als teile mir das nackte Gesicht einer weiß verhüllten Braut etwas mit, als läse ich in ihrer Miene eine Botschaft, die mit ihrer Eigenschaft als Braut nicht in Zusammenhang stand. Seit jenem Augenblick frage ich mich, ob nicht Worte über der großen Leere, über dem Abgrund, in den mein Leben gefallen ist, eine neue Welt schaffen können. Ich schreibe nun Tag und Nacht Wörter, male mit ihrem Klang die Fluten des Himmels, die einen tollwütigen Fisch vor mein Fenster treiben; ich baue Türme und Brücken, lasse die Sonne mit blitzendem Besen die Schatten aus den Schluchten kehren und schüttle den Kopf, wenn der Wind, den ich beschreibe, wie ein Vagabund in einem Winkel alte Zeitungen liest; hastig, mit lachhafter Neugier, blättert er um.