—Bob Dylan
Für Kaa
PERSONEN:
VERA
MICHAEL
ALEX
Donnerstag, vierzehn Uhr.
VERA: Wann fliegst du.
ALEX: Am achten.
VERA: Deine letzten Wochen in der Heimat.
ALEX: So siehts aus.
VERA: Aufgeregt.
ALEX: Warum.
VERA: New York, die Filmschule, ein neues Leben, weit weg von zuhause.
ALEX: Alles nicht so wild.
VERA: Du siehst müde aus.
ALEX: Es ist gestern ein bisschen spät geworden.
VERA: Michaels Zug geht um elf. Es wäre gut, wenn du Rebekka um zwölf aus der Schule holst.
ALEX: Um zwölf.
VERA: Schaffst du das.
ALEX: Ich denke schon.
VERA: Sie mag es nicht, wenn man im Schulhaus wartet. Sie schämt sich. Bleib also besser auf dem Hof.
ALEX: Geht in Ordnung.
VERA: Nichts Persönliches.
ALEX: Klar.
VERA: Ich lasse Geld da, dann könnt ihr mittags zum Chinesen.
ALEX: Yup.
VERA: Allerdings—was esst ihr abends.
ALEX: Was mag sie.
VERA: Nudeln, Nudeln, Nudeln.
ALEX: Geht klar.
VERA: Sosse ist im Kühler.
ALEX: Perfekt.
VERA: Alex. Du schaffst das doch, oder.
ALEX: Nudeln mit Sosse. Yup, sollte ich gerade so hinkriegen.
VERA: Ich meine das Wochenende mit Rebekka.
ALEX: Aha. Klar, schaffe ich, eindeutig.
VERA: Rebekka freut sich sehr auf dich.
ALEX: Klar.
VERA: Sie redet nur noch über euren Film.
ALEX: Ja, filmen ist irre, einfach irre.
VERA: Ihr geht nicht an den See. Sie schwimmt nicht besonders gut.
ALEX: Keine Sorge. Man nennt mich auch Alex, den Biber.
VERA: Den Biber.
ALEX: Und das liegt nicht an den Zähnen.
VERA: Ihr geht jedenfalls nicht an den See.
ALEX: Wir haben ohnehin keine Zeit. Freitagnachmittag schreiben wir das Buch.
VERA: Ihr wolltet doch filmen.
ALEX: Was braucht man für einen guten Film, Mister Hitchcock. A good book, a good book, and a good book.
VERA: Wie gehts eigentlich Chantal.
ALEX: Ehrlich oder Floskel.
VERA: Ehrlich.
ALEX: Ich glaube, sie stirbt noch. An Langeweile.
VERA: Sie hat ewig nicht angerufen.
ALEX: Sie ruft keinen an.
VERA: Und dann ist Samstag.
ALEX: Wir gehen jetzt das ganze Wochenende durch, stimmts.
VERA: Stört dich das.
ALEX: Stört mich nicht.
VERA: Nicht Minute für Minute.
ALEX: Klar.
VERA: Also Samstag.
ALEX: Samstag drehen wir. Ohne Gnade.
VERA: Den ganzen Tag.
ALEX: Ich rechne mit acht, neun Stunden.
VERA: Neun Stunden.
ALEX: Bis wir das Ding im Kasten haben.
VERA: Neun Stunden hält Rebekka nicht durch.
ALEX: Nicht.
VERA: Sie ist sieben, Alex.
ALEX: Unvorstellbar.
VERA: Wie.
ALEX: Dass sie erst sieben ist. Sie hat ja so etwas.
VERA: Ja.
ALEX: Jedenfalls wirkt sie nicht wie sieben.
VERA: Chantals Kanzlei läuft doch blendend, was man so hört.
ALEX: Sie scheffelt Geld wie Heu.
VERA: Sie wird dich vermissen.
ALEX: Glaube ich nicht. Sie hat ja ihn.
VERA: Sie hat einen Freund.
ALEX: Einen ganz besonderen, himmlischen Freund—
VERA: Du meinst—
ALEX: Sie spricht mit ihm. Wenn sie putzt. Oder beim Zwiebelschneiden. Oder im Bad. Ist das—
VERA: Wie.
ALEX: Du hast doch mit solchen Leuten zu tun.
VERA: Mit was für Leuten.
ALEX: Das ist doch nicht krank, wenn man mit Toten spricht.
VERA: Das machen viele, denen jemand—
ALEX: Wie lange hält sie durch.
VERA: Meistens muss ein Jahr herum, bevor man ein neues Leben beginnen kann.
ALEX: Ich meine Rebekka.
VERA: Zwei, drei Stunden. Höchstens.
ALEX: Autsch.
VERA: Nimm dir nicht zuviel vor. Erlebnis vor Ergebnis.
ALEX: Wenns was wird, dürfen wir den Film an der Kurzfilmnacht zeigen. Der Typ, der das organisiert, hat es mir zugesagt.
VERA: So.
ALEX: Da kommen ziemlich wichtige Leute, Produzenten und die Typen vom Fernsehen.
VERA: Wir werden sehen.
ALEX: Machst du das auch.
VERA: Was.
ALEX: Sprichst du auch mit den Toten.
VERA: Ich. Nein. Ich habe niemanden, der dafür in Frage kommt.
ALEX: Ich meine, es ist mir egal, sie kann reden, mit wem sie will—
VERA: Natürlich—
ALEX: Es ist so, wie wenn sie aufm Klo sitzt, und ich höre, wies plumpst, ich meine, dass sie kacken muss, gegessen, aber ich muss da ja nicht mit—
VERA: Sprich mit ihr.
ALEX: Tja, das ist schwierig.
VERA: Wie.
ALEX: Ich habs versucht. Sie streitet es ab.
VERA: Wie.
ALEX: Sie sitzt im Sessel, quatscht mit Papa, ich spreche sie darauf an—
VERA: Und was sagt sie.
ALEX: Sie weiss nicht, wovon ich rede.
VERA: Schläft sie.
ALEX: Ich weiss nur nicht, ob sie es abstreitet, weil es ihr peinlich ist, oder weil sie es tatsächlich nicht mitkriegt.
VERA: Aber sie schläft doch. In der Nacht.
ALEX: Keine Ahnung. Ist das beunruhigend.
VERA: Du bist beunruhigt.
ALEX: Sie haben nie miteinander geredet, und kaum ist er unter der Erde, geht die Plauderei los.
VERA: Ich geb dir was mit.
ALEX: Wie.
VERA: Damit sie schläft. Das ist das Wichtigste.
ALEX: Sie hasst Medikamente.
VERA: Die sind nicht stark. Ich nehme die auch.
ALEX: Du kannst auch nicht schlafen.
VERA: Es war in der letzten Zeit nicht immer einfach.
ALEX: Hat sie was zum Anziehen.
VERA: Für die Kurzfilmnacht.
ALEX: Für den Dreh. Ein Kostüm. Irgendetwas, ich weiss nicht, etwas Besonderes.
VERA: Das rosarote Tüllkleid vielleicht.
ALEX: Eine Fee, eine kleine, gemeine Fee in rosa.
VERA: New York ist toll. Jedenfalls war es toll. Vor fünfzehn Jahren.
ALEX: Du warst lange da.
VERA: Ein paar Wochen. Nach dem Studium.
ALEX: Alleine.
VERA: Die erste Zeit, ja. Was ist.
ALEX: Du und New York, versteh mich, aber das bringe ich irgendwie nicht zusammen. Du bist doch eher der Paris-Typ.
VERA: Wie ist der Paris-Typ.
ALEX: Oder Florenz.
VERA: Ich war oft im CBGB’s, aber das gibt es nicht mehr.
ALEX: Hey, wir brauchen deine Schuhe.
VERA: Welche Schuhe.
ALEX: Die da. An deinen Füssen.
VERA: Die. Für Rebekka.
ALEX: Eine rosarote Fee stöckelt durchs Universum, in der Hand den Stab der Verdammnis—
VERA: Die wollte ich eigentlich mitnehmen.
ALEX: Dann ein anderes Paar.
VERA: Ich hatte ein Paar Kirschrote. Mit Strass.
ALEX: Mit Absatz.
VERA: Halsbrecherische Absätze.
ALEX: Das möchte ich sehen. Du in roten Pumps.
VERA: Unterschätz mich nicht.
ALEX: Jedenfalls sind sie genehmigt.
VERA: Ich habe die Schuhe längst weggegeben.
ALEX: Schande.
VERA: Alex, hör zu.
ALEX: Ich werde was anderes finden, keine Sorge.
VERA: Wir müssen das noch einmal—
ALEX: Wir können mit Künstlernamen arbeiten.
VERA: Mit Künstlernamen.
ALEX: Wenn du nicht mit dem Film in Verbindung gebracht werden willst. Ginger Lily, oder so.
VERA: Ginger Lily. Ich bitte dich.
ALEX: Du willst keine böse Fee, stimmts.
VERA: Das ist es nicht.
ALEX: Sie hat ja so was, ich meine, man könnte denken, sie ist ein kleiner Engel.
VERA: Rebekka ist ein kleiner Engel.
ALEX: Ja, aber nach einer Weile begreift, entdeckt man ihr zweites Gesicht.
VERA: Was für ein zweites Gesicht.
ALEX: Nur in der Geschichte natürlich.
VERA: Dränge sie bitte in keine Rolle.
ALEX: Ich dachte, ich solle mit Rebekka einen Film drehen.
VERA: Aber ja.
ALEX: Muss nicht sein. Ich kann auch was mit Klopapierrollen—
VERA: So war es nicht gemeint.
ALEX: Ich machs richtig, oder ich machs gar nicht.
VERA: Sie soll sich einfach gut fühlen dabei.
ALEX: Madeira hast du gesagt.
VERA: Malaga.
ALEX: Für zwei Tage.
VERA: Zwei Nächte, drei Tage.
ALEX: Nicht gerade üppig.
VERA: Für mich sind das wie zwei Monate.
ALEX: Was machst du da.
VERA: Ich sehe mir die Kirchen an.
ALEX: Werd mir nur nicht auch noch fromm.
VERA: Das ist nicht meine Absicht.
ALEX: Da kommt manchmal so ein Typ, von irgendeiner Kirche.
VERA: Zu Chantal.
ALEX: Ich glaube, die beten zusammen.
VERA: Manchen Menschen reicht dieses Leben nicht, sie sehnen sich nach Tiefe.
ALEX: Papa hätte einen solchen Kerl nicht über die Schwelle gelassen. Du solltest die Flugblätter sehen, die er da lässt. Darauf fallen nur Idioten herein.
VERA: Um neun ist Lichterlöschen. Sie braucht ihren Schlaf. Lies ihr noch was vor. Wir haben gerade mit Pippi angefangen. Liegt auf der Kommode.
ALEX: Klar.
VERA: Ach.
ALEX: Was ist.
VERA: Was Dummes. Da gibts diesen Vater, bei Pippi, und von ihm heisst es, er sei Negerkönig geworden.
ALEX: Negerkönig.
VERA: Ich habe das geändert.
ALEX: Du hast Pippi Langstrumpf zensiert.
VERA: Die ü bersetzung ist veraltet. Im Original heisst das bestimmt anders.
ALEX: Neger sage ich ohnehin nicht.
VERA: Das meine ich. Sagt heute keiner mehr.
ALEX: Ich sage Nigger.
VERA: Alex.
ALEX: Ja.
VERA: Bitte.
ALEX: Das ist kein Schimpfwort. Die Nigger nennen sich heutzutage selbst Nigger.
VERA: Das steht ausserhalb jeder Diskussion. König der Afrikaner.
ALEX: Ich nenne den Negerkönig also König der Afrikaner.
VERA: Genau.
ALEX: Sag mal, es ist doch in Ordnung, wenn mich Samstagabend jemand hier besucht.
VERA: Wer.
ALEX: Ein Freund. Tim heisst er.
VERA: Also, ich weiss nicht—
ALEX: Er ist in Ordnung, ehrlich.
VERA: Kannst du das nicht verschieben—
ALEX: Ich reise bald ab und—
VERA: Meinetwegen. Aber spätestens um Mitternacht ist er weg.
ALEX: Geht klar. Also. Ich geh dann mal los. Ich muss ins Bett, ich hab da eine ziemlich fette männliche Katze im Kopf.
VERA: Alex. Kein Alkohol. Und das gilt fürs ganze Wochenende.
ALEX: Also.
VERA: Hast du mich verstanden.
ALEX: Wir wollten uns ein paar Filme anschauen—
VERA: Dagegen habe ich nichts.
ALEX: Und da trinken wir halt gerne ein Bierchen—
VERA: Kommt nicht in Frage.
ALEX: Rebekka ist da doch schon längst im Bett.
VERA: Ich glaube, du nimmst das nicht Ernst genug.
ALEX: Wir besaufen uns nicht—
VERA: Ich gebe dir die Verantwortung für das Wohl meiner Tochter, junger Mann.
ALEX: Ich habs begriffen.
VERA: Ich will nicht, dass dein Freund—
ALEX: Wir trinken nicht—
VERA: Nein, Alex, ich fürchte, dass du nicht nein sagen wirst, und das ist mir ein zu grosses—
ALEX: Ich kann nein sagen—
VERA: Wahrscheinlich ist es besser, wenn wir die ganze Sache abblasen.
ALEX: Du fährst nicht nach Malaga.
VERA: Selbstverständlich fahre ich nach Malaga. Michael wird sich um Rebekka kümmern.
ALEX: Ich hätte Pizzen ausfahren können. Habe ich deinetwegen abgesagt.
VERA: Wie gesagt, es ist nicht mehr mein Problem. Michael soll entscheiden, ob er dich einstellt.
ALEX: Und wenn er nein sagt.
VERA: Dann hast du ein freies Wochenende.
ALEX: Und dann fehlt mir die Kohle. New York ist nicht billig.
VERA: Dann wirst du dich ein bisschen anstrengen müssen.
ALEX: Vera. Ich habe fest mit diesen dreihundert gerechnet.
VERA: Die Hälfte kriegst du, egal, was er findet.
ALEX: Sagen wir zweihundert.
VERA: Hundertfünfzig.
ALEX: Vera.
VERA: Oder gar nichts.
ALEX: Du warst im CBGB’s.
VERA: Sage ich doch.
ALEX: In dem CBGB’s.
VERA: Es gab nur das eine.
ALEX: In der Bowery.
VERA: Natürlich.
ALEX: Da spielten die Punkbands.
VERA: Und.
ALEX: Erzähl mir nicht, dass du Punk magst.
VERA: Ich mochte die Atmosphäre.
Donnerstag, siebzehn Uhr.
MICHAEL: Hör zu. Diese Sache ich für mich mindestens so unangenehm wie für dich.
ALEX: Warum sollte es mir unangenehm sein.
MICHAEL: Lass uns die Sache nüchtern angehen. Von Mann zu Mann.
ALEX: Wie könnte man sie sonst angehen.
MICHAEL: Guter Punkt.
ALEX: Sie wollen wissen, wer sich um Rebekka kümmert.
MICHAEL: Lass das Sie. Ich bin Michael.
ALEX: Ich würde es jedenfalls genau so machen.
MICHAEL: Du würdest dir misstrauen.
ALEX: Ich möchte wissen, was das für ein Kerl ist.
MICHAEL: Und. Was ist es für ein Kerl.
ALEX: Willst du eine Selbstbeschreibung.
MICHAEL: Warum nicht. Es wäre ein Anfang.
ALEX: Ich bin neunzehn. Ich lebe mit meiner Mutter. Mein Vater ist vor ein paar Monaten gestorben.
MICHAEL: Vera hat es mir erzählt. Das tut mir leid. Mein Vater ist auch nicht viel länger tot. Aber das ist natürlich was anderes.
ALEX: Warum ist das was anderes.
MICHAEL: Nun, ich bin älter als du.
ALEX: Und in jungen Jahren verkraftet man einen Todesfall schlechter.
MICHAEL: Weiss ich nicht. Sag du es mir.
ALEX: Es hat mich nicht umgehauen, wenn du das meinst.
MICHAEL: Und was haut dich um.
ALEX: Mich. Wenig.
MICHAEL: Zum Beispiel.
ALEX: Menschen jedenfalls nicht.
MICHAEL: Was denn.
ALEX: Lichtstimmungen.
MICHAEL: Lichtstimmungen hauen dich um.
ALEX: Sie bewegen mich.
MICHAEL: Und weiter.
ALEX: Ich bin Künstler.
MICHAEL: Künstler.
ALEX: Filmer. Ist nicht immer einfach.
MICHAEL: Das Leiden an der Existenz, die Tiefe der Empfindungen, gewisse Lichtstimmungen.
ALEX: Das ist nicht komisch.
MICHAEL: Keineswegs.
ALEX: Vor mir liegt ein steiniger Weg.
MICHAEL: Wenn man es weiss, kann man sich darauf vorbereiten.
ALEX: Diese Zeit hat keinen Bedarf an Visionen.
MICHAEL: Erzähl.
ALEX: Was soll ich erzählen.
MICHAEL: Von deiner Vision.
ALEX: Das lässt sich nicht in Worte fassen. Höchstens in Bilder.
MICHAEL: Ich ging früher oft ins Kino.
ALEX: Klar, aber Kino bringts nicht.
MICHAEL: Wie.
ALEX: Ich schaue mir die Filme zu Hause an. Ich will die Szenen analysieren, zurückspulen können, hinter die Découpage kommen.
MICHAEL: Hinter die was.
ALEX: Wie der Film geschnitten ist.
MICHAEL: Du siehst das ziemlich analytisch.
ALEX: Wenn du meinst.
MICHAEL: Aber dir fehlt das Erlebnis. Die Spannung, wenns dunkel wird. Der Ärger über die Werbung.
ALEX: Ich schau mir die Filme ja nicht zum Vergnügen an. Ich will lernen, hinter die Tricks kommen.
MICHAEL: Klingt anstrengend.
ALEX: Allerdings.
MICHAEL: Aber das Filmen macht dir Spass.
ALEX: Ganz und gar nicht.
MICHAEL: Und du tust es trotzdem.
ALEX: Kennst du das nicht. Dass du etwas tun musst, obwohl es dich nicht essen, nicht schlafen lässt, und über dir hängt wie eine grosse, schwarze Wolke.
MICHAEL: Über dir hängt eine grosse, schwarze Wolke. Prima.
ALEX: Nicht, wenn ich mit einer Arbeit fertig bin.
MICHAEL: Na, Gott sei dank.
ALEX: Aber das halte ich nicht lange aus.
MICHAEL: Du brauchst deine Wolke.
ALEX: Ich brauche die totale Versenkung. Die vollkommene Hingabe.